von Wilfried Kaets
Theodor Fontanes Roman „Effi Briest“ gehört zu den bekanntesten Werken der deutschen Literatur. Erstmals erschienen als Fortsetzungsroman, gilt das 1996 erschienene Werk als erster deutscher Gesellschaftsroman.
Die Geschichte von Effi, die 17-jährig den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten heiratet, in der Ehe vereinsamt und sich schließlich in eine Affäre mit Innstettens Jugendfreund Major von Crampas stürzt, wurde vielfach auf die Theaterbühne gebracht und u. a. von R. M. Fassbinder verfilmt.
Die Schuldfrage ist ungeklärt und die Zwangsassimilierung in die gesellschaftlichen Normen ein Kernthema. Somit ist der Stoff, trotz seiner Entstehungszeit Mitte/Ende des 19. Jahrhunderts, in Bezug auf die Lebenswelt junger Menschen, die Gleichstellung der Frau sowie dem Hinterfragen von Gruppennormen und Genderfragen auch heute aktuell.
Im neuen Musical von Philipp Polzin und Christian D. Dellacher ist die Abfolge der Szenen des dramatischen und tragischen Stoffs auf die Hauptperson Effi aufgebaut. Ihre Entwicklung vom lebenslustigen Mädchen zur vom Leben enttäuschten Ausgestoßenen wird, wie auch schon bei Fontane, in Bezug zu den Zwängen und Einflüssen ihrer Umwelt gesetzt. Ein Prolog und Epilog mit Effis Eltern an ihrem Grab verstärkt diesen Effekt.
Die Musik ist auf den ersten Blick typischer aktueller Musicalsound: stilistisch vielfältig und mit Hitpotential. Hört man genauer hin, ist sie viel mehr als das: den Komponisten Polzin und Dellacher gelingen über die grundlegenden Stimmungen wie Dramatik, Angst oder Liebe (die als solche stets treffsicher funktionieren) hinaus weitere feine Dimensionierungen von Personen, emotionalen Zuständen und atmosphärischen Entwicklungen.
So beginnt Instetten – ganz überkorrekter Beamter ohne großen Esprit – seinen „musikalischen Hochzeitsantrag“ in einer für ihn entspannten Baritonlage mit wenig Bewegung. Effi übernimmt seine Avancen musikalisch und entwickelt sie mit „jugendlicher Frische“ weiter, sodass Instetten sich in einem zweiten Ansatz an Effis melodische viel höhere Lage annähert, um sie später sogar umspielend zu umgarnen.
An anderer Stelle singt Effis Mutter Luise in ihrer Arie über Effi und Instetten „…es ist gut so, wie alles kam“. Aber in der Musik gibt es einen nur hier vorkommenden enormen inneren Aufruhr quer durch mehrere Tonarten von unten nach oben und wieder zurück… Und der Zuhörer erkennt, dass es längst nicht so „gut“ ist für Luise, als sie „nach außen singt“ – hat doch Instetten vor Jahren um ihre eigene Hand angehalten.
Das ist kunstvoll gemacht und gut hörbar, ohne je „mit dem Zeigefinger“ komponiert zu sein: eine handwerkliche und künstlerische Qualität, die wir bereits beim „Fliegenden Holländer“ erleben und bewundern durften.
Unseren Mitwirkenden jedenfalls schwirren nach jeder Probe oft tage- und nächtelang einzelne Songs ohrwurmartig durch den Kopf. Wir haben mittlerweile jeden Ton bestimmt hundertmal umgedreht und Musical und Musik dabei wirklich liebgewonnen.
Eigentlich ist es schade, dass Sie als Besucher*innen Musik und Schauspiel, Tanz und Gesang nur ein einziges Mal erleben können. Und dabei haben Sie noch nicht mal die erstaunlichen Unterschiede unserer beiden Besetzungen mitbekommen: es ist wirklich faszinierend, wie alle zwar gemeinsam seit Monaten miteinander proben, aber dennoch viele Dinge höchst unterschiedlich gestalten.
Vielleicht geben Sie sich einen Ruck und kommen ein zweites Mal?! Vermutlich dürfte es das letzte Musical unter meiner Gesamtleitung in Rochus sein.
Ich freue mich auf Sie!
Ihr und Euer Wilfried Kaets
P.S. Um Ihnen die Erinnerung zu verschönern, gibt es nach jeder Aufführung ein „Meet & Greet“ mit den Darsteller*innen im Foyer des BiOs Inn. Natürlich auch mit der Möglichkeit, Fotos von und mit den Künstler*innen zu machen.